Thailands Nationalisten fürchten den Machtverlust
Stimme aus Deutschland
Die Gefechte an der Grenze von Thailand und Kambodscha reißen nicht ab. Der Konflikt ist vor allem innenpolitisch motiviert. Die Anheizer sitzen in Bangkok.
Unbeeindruckt von Forderungen des UN-Generalsekretärs Ban Ki Moon nach einer Waffenruhe haben sich Thailand und Kambodscha den vierten Tag in Folge Feuergefechte an ihrer Grenze geliefert. Der kambodschanischen Armee zufolge begann der Schusswechsel am Morgen, als thailändische Soldaten versuchten, die bei vorherigen Gefechten Verletzten zu bergen. Die Gegenseite sprach von einer kurzen Schießerei von zwei Minuten, die durch ein "Missverständnis" ausgelöst worden sei.
Durch die seit Freitag andauernden Gefechte kamen bislang mindestens sechs Menschen ums Leben, Tausende Menschen sind auf der Flucht. In dem Konflikt geht es um den jahrhundertealten Tempel Preah Vihear, den beide Länder für sich beanspruchen. Kambodschas Ministerpräsident Hun Sen forderte eine Krisensitzung des UN-Sicherheitsrats sowie die Entsendung von UN-Soldaten. Er warf Thailand vor, die Kämpfe provoziert zu haben. Thailands Regierungschef Abhisit Vejjajiva gab wiederum dem Nachbarland die Schuld an der Eskalation und pochte in einem Brief an den Sicherheitsrat auf das Recht zur Selbstverteidigung.
Nach Feuergefechten zwischen Thailand und Kambodscha haben Tausende Bewohner die thailändische Grenzprovinz Srisaket verlassen.
In der Vergangenheit pflegten Thailand und Kambodscha eigentlich eine gute Nachbarschaft. Sie sind Bündnispartner in der Südostasiatischen Staatengemeinschaft Asean, die nach EU-Vorbild zusammenwachsen will. Dass plötzlich Kriegsgefahr in dem Grenzkonflikt aufzieht, hat daher auch weniger mit wichtigen strategischen Positionen oder gar Bodenschätzen zu tun. Grund sind vielmehr innenpolitische Machtkämpfe, Ehre und Nationalgefühl – vor allem auf thailändischer Seite.
"Das Tempel-Thema wird immer dann entstaubt, wenn die politische Temperatur in Thailand steigt", schreibt der Thailand-Experte Duncan McCargo von der Universität in Leeds in einer Analyse. Die Gebietszugehörigkeit des Tempelgeländes war zwar jahrelang strittig. Doch als ein internationales Gericht den Tempel 1962 Kambodscha zusprach, protestierte Thailand nicht. Allerdings blieb ein Areal von 4,6 Quadratkilometern Größe in unmittelbarer Nähe des Tempels Streitgegenstand zwischen beiden Ländern. Als Kambodscha die Eintragung des Gebäudes als Weltkulturerbe beantragte, unterstützte der damalige thailändische Außenminister Noppadon Pattama das Anliegen jedoch. 2008 listete die Unesco den Tempel.
Kambodschanische Soldaten auf einem Panzer in der Nähe des Preah-Vihear-Tempel, 500 Kilometer nordwestlich der Hauptstadt Phnom Penh.
Hier sahen nun thailändische Nationalisten ihre Chance, gegen die ihnen verhasste damalige Regierung zu punkten, an deren Schaltstellen das Volk Verbündete des gerade erst gestürzten, bei der armen Landbevölkerung aber sehr populären Ministerpräsidenten Thaksin Shinawatras gewählt hatte. Die Regierungsgegner warfen Außenminister Noppadon Verrat am Vaterland vor, weil er das kambodschanische Unesco-Ansinnen nicht torpediert hatte. Mit Kambodscha selbst hatte das alles dagegen wenig zu tun.
Die Strategie der Nationalisten ging auf. Der Außenminister musste gehen, und wenige Wochen später gipfelten die Proteste gegen die Thaksin-nahe Regierung in der Besetzung des Bangkoker Flughafens. Das Oppositionsbündnis PAD, auch Gelbhemden genannt, zog erst nach dem Rücktritt der Regierung ab. Als dann auch noch ein Koalitionspartner der alten Regierung die Seiten wechselte, kam der von der PAD unterstützte Premier Abhisit an die Macht – ohne Sieg an der Wahlurne.
In diesem Jahr muss Abhisit aber Wahlen abhalten. Ob er gewinnen kann, ist fraglich. Thaksin, ein im Exil lebender Milliardär, ist nach wie vor beliebt und seine Bewegung der Rothemden eine feste politische Größe, die auch an der Wahlurne wieder siegen könnte – ein im wahrsten Sinne des Wortes rotes Tuch für die PAD. Sie fürchtet inzwischen, dass Abhisit für den Grabenkampf gegen die Rothemden zu moderat ist. Sie wollen ihn daher in die Rolle des Vaterlandsverteidigers zwingen, um an der Wahlurne zu punkten. Sieben ihrer Anhänger provozierten schon Ende Dezember einen Konflikt mit Kambodscha, indem sie illegal die Grenze überquerten. Sie wurden festgenommen, zwei von ihnen bekamen gerade in Kambodscha lange Haftstrafen wegen Spionage.
"Die nationalistischen Elemente in der Bewegung der Gelbhemden tun unserem Land keinen Gefallen, wenn sie den Disput mit Kambodscha anheizen", kommentierte die thailändische Zeitung The Nation den Streit mit dem Nachbarland. "Sie verfolgen ihre eigenen politischen Ziele, indem sie den Konflikt anheizen. (...) Diese Gruppe will Abhisit nur unter Druck setzen."
ZEIT ONLINE am 07.02.2011
© Sukree Sukplang/Reuters