Deutschland, Heimat der Umständlichkeit

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KoratCat
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Deutschland, Heimat der Umständlichkeit

Ungelesener Beitragvon KoratCat » Mo Okt 17, 2011 2:18 pm

Mein Leben als Ausländer

Deutschland, Heimat der Umständlichkeit

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Bürokratie in Deutschland: "So sind die Vorschriften"


Wer als Ausländer im sozialistischen China lebt, ist Kummer mit der Bürokratie gewohnt und sehnt sich nach deutschen Verhältnissen. Andreas Lorenz, Korrespondent in Peking, ging es auch lange so - bis ein Besuch in der Heimat ihn vom Glauben an die deutsche Effizienz kurierte.

Ich trage eine rosarote Brille - behauptet zumindest meine Frau. Wenn irgendetwas in Asien nicht funktioniert, wenn wieder einmal der Flieger verspätet ist und das Bodenpersonal partout nicht auf die Idee kommt, die Passagiere zu informieren, wenn ich im Verkehr untergehe, weil niemand auch nur irgendeine Regel beachtet, dann sehne ich mich nach den geordneten Verhältnissen in Deutschland zurück. Und dann kommt prompt der Spruch von der rosaroten Brille.

Deutschland aus der Ferne erscheint mir nach langen Jahren in Asien als Wunderland, als eine heile, exotische Welt - in der man zwar in Restaurants ewig auf das Essen wartet, täglich ein Vermögen für Parkgebühren loswird, aber die Autos am Zebrastreifen halten, es auf den Flughäfen Zeitungen gratis gibt und Handwerker etwas von ihrem Fach verstehen.
China, meine Wahlheimat, ist das Mutterland der sozialistischen Bürokratie schlechthin. Neulich bin ich daran gescheitert, eine polizeiliche Anmeldung zu erhalten, die plötzlich nötig war, um meinen Führerschein zu erneuern. Die zuständige Pekinger Polizeiwache erklärte sich für nicht zuständig, der Führerschein bleibt also der alte, aber das scheint - vorerst - auch niemanden so recht zu stören.

Erster Schock in der Berliner S-Bahn

Immerhin sind die Beamten höflich, aber sie tragen neuerdings eine kleine Kamera an ihrem Revers, mit der sie offenbar ihre Klientel filmen können, und das finde ich ziemlich beunruhigend. Entsprechend gestimmt treffe ich in Deutschland zu einem längeren Aufenthalt ein - ein Mann, der eine rosarote Brille auf der Nase hat.

Den ersten Schock erlebe ich auf einem Berliner S-Bahnhof, wo ich auf dem Weg nach Hamburg wissen will, ob meine ICE-Fahrkarte bereits für die Fahrt zum nächsten Fernbahnhof gilt. "Watt zeijen Se mir denn den Wisch, sehe ick aus wie die Bahn?", poltert die Dame vom Nahverkehr.

Auf meinen schüchternen Einwand, sie arbeite schließlich auf dem Bahnsteig in einem Büdchen mit der Aufschrift "Fahrkarten", entgegnet sie: "Traje ick ne Uniform? Warum traje ick keene Uniform? Weil ick nur ne Ajentur bin, ne Fahrkartenajentur nämlich."

Dann habe ich in Berlin eine Wohnung gekauft. Sie war günstig, aber gründlich renovierungsbedürftig. Hier will ich nach der Rückkehr aus Asien irgendwann einmal wohnen. "Am 16. Juli bin ich mit allem fertig", verspricht der Handwerker irgendwann im Mai. "Dann mach ich Urlaub, sonst bringt mich meine bessere Hälfte um."

In der Zeit baut China ganze Stadtviertel

Der Handwerker lebt - bezugsfertig ist die Wohnung aber erst Mitte September. Liefertermine für Möbel ziehen sich über Wochen und Monate hin, und ich ertappe mich beim Gedanken: "In dieser Zeit hätte man in China schon ein neues Haus gebaut" - und korrigiere mich: "Ein ganzes Stadtviertel."

Der für Einbauschränke beauftragte Tischler ist zeitweise spurlos von der Bildfläche verschwunden. Er habe einen Auftrag in Mecklenburg, berichten seine Kollegen. Vertrauensselig habe ich ihm die Rechnung vorab bezahlt, einen Hebel gegen ihn gibt es mithin nicht. Als er wieder auftaucht, erklärt er kleinlaut: "Is' wohl einiges schiefgelaufen." Und verschwindet wieder gen Mecklenburg.

Der Aufenthalt in Deutschland überfordert unerfahrene Mitbürger wie mich. Was waren es für Goldene Zeiten, als es noch das grüne Telefon mit den schwarzen Wähltasten gab und das Gespräch 23 Pfennig kostete! Nun kämpfe ich mich durch den Tarif-Dschungel vieler Anbieter.

Ein mobiler Internet-Anschluss für den Laptop muss her, denn in Deutschland gibt es kaum öffentlich zugängliche Hotspots. Nach langen Beratungsgesprächen im Fachgeschäft stellt sich heraus: Wer keinen Personalausweis besitzt oder nicht in Deutschland angemeldet ist, erhält keinen mobilen Internet-Stick, egal von welchem Anbieter.

Das ist doch wie in China, dem Land der Zensoren, denke ich.

"Nehmen Sie auch den Reisepass?", frage ich den Verkäufer.

"Nur mit dem Nachweis der polizeilichen Anmeldung", sagt er.

"Damit entgeht Ihnen jetzt ein Geschäft", entgegne ich.

"So sind die Vorschriften", sagt er.

Ich brauche dann noch einen Wlan-Router

Weil ich unterwegs dennoch meine E-Mail lesen muss, finde ich mich im Bürgeramt Berlin-Lankwitz wieder. Mir schwebt vor, einen zweiten Wohnsitz in Deutschland anzumelden. "Das geht nicht", sagt die Bürgeramtsdame nach einer Stunde Wartezeit. "Erster Wohnsitz Deutschland oder gar keiner."

Na, dann eben so. Stempel, Unterschrift, fertig.

Nun brauche ich auch einen Telefon-Festnetzanschluss und Internet-Zugang für die neue Wohnung. Die Verkäuferin im Base-Laden am Berliner Alexanderplatz hat, was ich brauche. Endlich scheint mal etwas reibungslos zu klappen. Als ich bezahlen will, stellt sich allerdings heraus, dass der Wlan-Router nicht mit der neuesten Apple-Software kompatibel ist. Überdies soll es viele Tage dauern, bis solch ein Ding installiert wird. Die Telekom benötigt für diese lächerliche Dienstleistung fast einen Monat.

In China reicht ein Anruf, und innerhalb weniger Stunden ist ein Techniker mit einem Router da.

Immerhin preist die Base-Angestellte ein kleines Handy an, mit dem man überall in der Bundesrepublik über seine Wohnungsfestnetzleitung angerufen werden kann. "Die Nummer schicken wir Ihnen per SMS bis übermorgen zu", sagt sie.

Drei Wochen später ist die Nummer immer noch nicht da. Das neue Telefon lässt sich "nur für Notrufe" gebrauchen. Meine Nachfragen per Mail an den Kundendienst bleiben unbeantwortet. Also zurück zum Alexanderplatz.
Eine Base-Angestellte ("Zeigen Sie mir erstmal Ihren Ausweis, bevor ich das überprüfen kann. Das ist Vorschrift.") kann schließlich das Problem lösen - und schiebt den Fehler gekonnt auf mich: Ich hätte das Telefon aus- und wieder einschalten müssen, dann hätte ich meine Rufnummer früher erfahren.

Als ich den Laden verlasse, höre ich etwas zu Boden fallen. Auf dem Pflaster liegt meine rosarote Brille.

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Re: Deutschland, Heimat der Umständlichkeit

Ungelesener Beitragvon KoratCat » Mo Okt 17, 2011 2:33 pm

Ob das dort wirklich so schlimm ist? Ja, so hab ich das in Erinnerung.

Und wenn man etwas nicht selbst machen kann, einen Agenten einschalten muss, wird man ausgezogen. Also ich sehne mich nicht nach Deutschland zurück. Mit der Versorgung durch das dortige Sozialsystem bin ich jedoch recht zufrieden. Und eben das scheint einigen Beamten aufzustoßen. Wurde mir neulich von einer Rechtspflegerin erklärt, dass meine Auslagen zur Rechtsverteidigung an den niedrigeren Lebenshaltungskosten in Thailand gemessen werden müssten. Hat sie doch scheinbar nicht begriffen, dass die Lebenshaltungskosten in Thailand bei vergleichbarem Lebensstandard, vergleichbar dem in Deutschland gesetzlich fixierten Lebensstandard, kaum niedriger sind. Also warum denkt jeder, dass man hier billiger leben kann? Weil man hier auf vieles verzichten kann bzw. es auch gar nicht bekommt, was man in Deutschland, ob man es will oder nicht, mitbezahlen muss. In erster Linie ist das die "Präzision" der Bürokratie. Ich kichere dann immer vor mich hin, wenn einer auf die Bürokratie in Thailand schimpft. :oops:
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